Los 164 | Johannes Molzahn | Fernes Klingen

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Auktionsergebnisse zu: Johannes Molzahn
MOLZAHN, JOHANNES
1892 Duisburg - 1965 München

Titel: Fernes Klingen.
Datierung: 1919.
Technik: Öl und Silberbronze auf Leinwand.
Maße: 72,5 x 72cm.
Bezeichnung: Signiert unten links: Johs Molzahn. Verso befindet sich eine übermalte Komposition, die rechts unten signiert ist.
Rahmen/Sockel: Rahmen.

Provenienz:
- Arnold Walther Rudolf Brecht (1884-1977) und Clara Ernestine Brecht (1867-1966), geb. Berg, gesch. Heckmann, Berlin-Steglitz/ab 1933 New York (zwischen 1919 und 1933 erworben)
- Irmgard Hoppe (1897-1991), geb. Heckmann (durch Erbfolge von ihrem Stiefvater Arnold Brecht 1977 erhalten)
- Privatsammlung Stuttgart (durch Erbfolge 1991 erhalten, aber zu Lebzeiten Irmgard Hoppes 1984 bereits übergeben)

Ausstellung:
- Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg 1988, Nr. 10 (Abb.)

Literatur:
- Gries, Christian: Johannes Molzahn (1892-1965) und der 'Kampf um die Kunst' in Deutschland der Weimarer Republik (Anhang: Werkverzeichnis der Gemälde von Johannes Molzahn), Diss. Universität Augsburg 1996, WVZ.-Nr. 47A, Abb
- Ausst. Kat. Johannes Molzahn. Das malerische Werk, Duisburg 1988, Kat.-Nr.10, Abb.
- Wiese, Erich: Johannes Molzahn, in: Cicerone 1921, S. 652-658 (hier auf S. 657 als "Klingen" erwähnt)

Wir danken dem Johannes-Molzahn-Centrum, Kassel und dem Werkverzeichnisverfasser Dr. Christian Gries, Stuttgart, für die freundliche, wissenschaftliche Unterstützung.

- Marktfrisches Gemälde, das sich seit etwa 100 Jahren in Familienbesitz befindet
- Aus der Sammlung des bekannten Juristen, Politikwissenschaftlers und politischen Beraters Arnold Brecht (1884-1977)
- Frühes Gemälde aus Molzahns experimenteller Phase, in der er mit Blattgold und Blattsilber arbeitet

"Man fühlt ein Bild, wie man die Musik fühlt. Wie man in der Musik Ton für Ton nachempfindet und sich an ihrer Folge und Klangfarbe erfreut, so soll man in der Malerei Farbe für Farbe nachempfinden." (Rudolf Bauer, in: Einleitungstext "Der Sturm", 1917)
Johannes Molzahns Oeuvre als Maler, Graphiker, Lehrer und Kunsttheoretiker steht exemplarisch für die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Durch seine Auffassung von Kunst als Symbolsprache findet er allerdings eine ganz eigene Position unter den progressiven Künstlern seiner Zeit. Charakteristisch für sein Werk sind die sich stets im unendlichen Raum bewegenden Farb-Form-Kompositionen. Raum ist für Molzahn keine perspektivische Konstruktion, sondern eine geistige Wirkungsmöglichkeit des Bildes. In den frühen Arbeiten gewinnt er ihn durch futuristisch-kubistische Brechungen und Abgrenzungen, durch Schichtung von Flächen und durch den Distanzwert der Farbe. Dies gilt auch für das hier vorgestellte Gemälde "Fernes Klingen", das ein bemerkenswertes Beispiel für Molzahns Schaffen um 1920 ist. Wie auch im Marburger Gemälde "Blühender Kelch" (Vergleichsabb.) experimentiert er mit Blattgold und Blattsilber - einem Material, welches er aus der Werkstatt seines Vaters als Rohmaterial für Goldschnitt oder Buchprägungen kennt. Nicht nur der Titel "Fernes Klingen", sondern auch die abstrahierten notenähnlichen Strukturen sowie die orchestrierte Zusammensetzung der verschiedenen Farbflächen zeigen deutlich, wie wichtig ihm das Zusammenwirken von Musik, Klang und Klangfarben ist.
Ab 1917 stellt Molzahn regelmäßig in Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" aus und schreibt auch immer wieder Artikel für die "Sturm"-Hefte. 1919, im Entstehungsjahr des Gemäldes "Fernes Klingen" verfasst er das "Manifest des absoluten Expressionismus", in dem er sein Bekenntnis zur expressiven Abstraktion formuliert (Nr.10, H. 6, 90/92). Ab 1928 lehrt Molzahn als Professor für Grafik an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau. Die Nationalsozialisten entheben ihn 1933 des Amtes und zeigen sein Werk in der Folgezeit in zahlreichen Präsentationen mit von ihnen sogenannter "Entarteter Kunst". 1938 gelingt die Emigration nach Seattle, Washington, wo er zunächst als Professor im Art Department der University of Washington, seit 1943 an der School of Design (Kleines Bauhaus) in Chicago und ab 1947 an der New School for Social Research in New York lehrt. An dieser eigens als Hilfsmaßnahme gegründeten "University in Exile", die der kulturellen Elite der Weimarer Republik einen neuen Wirkungskreis bieten wollte, sollten europäische, vor allem aber deutsche sozialwissenschaftliche Ansätze mit den pragmatisch-empirisch orientierten amerikanischen Forschungsansätzen zu einer neuen Form der Sozialwissenschaft verbunden werden. Die New School, die bis 1945 noch 170 weitere "refugee scholars" beherbergen sollte, ist heute unter dem Namen Graduate Faculty of Political and Social Science bekannt.
Hier muss Johannes Molzahn auch den Juristen und Politikwissenschaftler Arnold Brecht (1884-1977), den ersten Besitzer unseres Gemäldes (wieder)getroffen haben, der von 1933-1954 ebenfalls an der New School lehrt. Laut einer handschriftlichen Liste Johannes Molzahns, die sich heute im Johannes-Molzahn Centrum in Kassel befindet, muss "Fernes Klingen" bereits vor dem 2. Weltkrieg von Arnold und Clara Brecht erworben worden sein. Molzahn selbst schreibt als Aufenthaltsort "Frau Brecht, Berlin-Stegl." Ob Clara und Arnold Brecht das Gemälde beim Künstler selbst erwarben oder möglicherweise über Herwarth Walden oder einen anderen Händler, ist unklar.
Bedeutsam ist jedoch, dass Johannes Molzahn und Arnold Brecht dasselbe Schicksal teilen: Die erzwungene Emigration aus Deutschland und die damit verbundene Zerrissenheit beschäftigt den einen wie den anderen gleichermaßen. Arnold Brecht, der eine Schlüsselfigur in der deutsch-amerikanischen Geschichte einnimmt, wird nach Kriegsende ein gefragter Berater in der amerikanischen Außenpolitik und einer der Mitbegründer der Politikwissenschaft an deutschen Universitäten. Als überzeugter Demokrat wirkt er bei der Ausarbeitung des deutschen Grundgesetzes mit und wird 1953 rückwirkend zum Staatssekretär a. D. ernannt. 1959 erhält er das Große Bundesverdienstkreuz, 1964 den Stern zum Bundesverdienstkreuz.
Das Gemälde befindet sich seit dem Ankauf auch heute noch im Besitz der Familie Brecht und ihrer Nachfahren. Als sich Clara und Arnold Brecht am 9. November 1933 von Cuxhaven nach New York einschiffen, gehen sie von einem kurzen wissenschaftlichen Gastaufenthalt in den USA aus. Brecht ist gar nicht gewillt, Deutschland zu verlassen und versteht sich weder als Exilant noch als Flüchtling. Ihre Wohnung in Berlin-Steglitz haben die Brechts daher behalten und reisen nur mit kleinem Gepäck. Wir dürfen daher davon ausgehen, dass sich das Gemälde bis nach Kriegsende und bis zum Tode Arnold Brechts und dem Übergang des Gemäldes an Brechts Stieftochter Irmgard Hoppe (aus Clara Brechts erster Ehe mit Paul Heckmann), durchgehend in Berlin befand.

VAN HAM Art Estate vertritt seit 2021 zusammen mit dem Johannes Molzahn Centrum, Kassel den künstlerischen Nachlass von Johannes Molzahn. www.johannes­-molzahn.org

Ansprechpartner/Ansprechpartnerin:
Hilke Hendriksen
Modern, Post War & Contemporary Art
+49 221 92 58 62 305

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Inventar Nummer: demo_live_112

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